Zukunft

Nr. 25-4 aktualisiert 2025-05-23 Lesedauer: min

Zukunft des Software Engineerings

Software Engineering hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten radikal verändert – methodisch, technologisch, organisatorisch. Was als technikzentrierte Disziplin begann, ist heute ein interdisziplinäres, strategisch relevantes Tätigkeitsfeld, das weit über das Schreiben von Code hinausgeht. Mit dem Aufstieg agiler Methoden, der Integration von DevOps, dem Vormarsch von KI, Low-Code-Plattformen und nachhaltigen Softwarepraktiken steht das Fachgebiet heute an einem Wendepunkt. Welche Entwicklungen prägen das Software Engineering dauerhaft? Was sind die strategischen Konsequenzen für Unternehmen und Organisationen? Und wie müssen sich Rollen, Prozesse und Prioritäten neu ausrichten, um zukunftsfähig zu bleiben?

(Bild: Mohammad Rahmani auf Unsplash)

Künftige Schwerpunkte im Software Engineering

Wir können schon heute vier zentrale Strömungen beim Software Engineering feststellen. Erstens steht Flexibilität im Zentrum: Agile Entwicklungsmethoden, iteratives Vorgehen und Continuous Delivery haben das klassische Projektdenken abgelöst. Organisationen, die sich auf schnelle Anpassung und kontinuierliches Lernen einstellen, sind besser für dynamische Märkte gerüstet. Zweitens gewinnt Plattformdenken an Bedeutung: Ob durch DevOps, interne Developer-Portale oder Low-Code-Plattformen – moderne IT-Infrastrukturen fördern Standardisierung und Wiederverwendbarkeit, statt jede Lösung neu zu erfinden. Das verändert die Arbeitsweise von Entwicklerteams und fördert Effizienz. Drittens hat Developer Experience (DX) einen strategischen Stellenwert erlangt. Zufriedene Entwicklerinnen und Entwickler arbeiten nicht nur produktiver, sondern liefern auch qualitativ hochwertigere Software. Wer als Unternehmen attraktive Arbeitsumgebungen bietet, sichert sich einen entscheidenden Vorteil im umkämpften Fachkräftemarkt. Viertens wird Verantwortung zur neuen Leitlinie – ökologisch, sicherheitstechnisch, ethisch. Green Software Engineering, Security by Design und verantwortungsvolle KI-Nutzung zeigen, dass Qualität nicht nur technisch, sondern auch gesellschaftlich gedacht werden muss.

Von «funktioniert» zu «wirkt verantwortungsvoll»

Was Software «gut» macht, wurde lange mit funktionalen Kriterien wie Stabilität, Geschwindigkeit oder Fehlerfreiheit definiert. Heute reicht das nicht mehr aus. Qualität bedeutet, dass Software sicher, wartbar, nutzerfreundlich – und zunehmend auch ressourcenschonend und verantwortungsvoll ist. Dies verändert die Anforderungen an Architekturen, Teststrategien und Produktverantwortung grundlegend.

In dieser neuen Qualitätsperspektive verschmelzen Technik und Ethik. Entwicklerinnen und Entwickler müssen nicht nur funktional denken, sondern auch in Wirkungen: Wie beeinflusst unsere App das Verhalten von Nutzerinnen? Wie viel Energie verbraucht unser Algorithmus? Wie stellen wir sicher, dass KI-Modelle fair und nachvollziehbar sind?

Diese Fragen erweitern das Software Engineering um eine gesellschaftliche Dimension, die in Zukunft an Relevanz gewinnen wird – insbesondere in stark regulierten Branchen wie Finanzen, Gesundheit oder öffentlicher Verwaltung.

Entwickler als Gestalter der digitalen Realität

Die Rolle des Software Engineers ist heute vielfältiger und einflussreicher als je zuvor. Neben technischer Kompetenz braucht es zunehmend systemisches Denken, kommunikative Fähigkeiten und ein Verständnis für Geschäftsmodelle, Nutzerbedürfnisse und regulatorische Rahmenbedingungen.

Entwicklerinnen und Entwickler werden zu Architekten digitaler Wirklichkeit – und tragen damit Mitverantwortung für deren Qualität und Auswirkungen. Gleichzeitig entstehen neue Rollen, die diese Entwicklung unterstützen: Platform Engineers gestalten produktive Environments, UX Engineers bringen die Perspektive der Nutzer ein, DevSecOps-Spezialisten verbinden Entwicklung mit Sicherheit, und Green Engineers optimieren den ökologischen Fussabdruck von Softwarelösungen.

Auch Führungskräfte müssen umdenken. Die Leitung von Softwareprojekten verlangt heute weniger Steuerung und mehr Ermöglichung. Teams brauchen Vertrauen, Autonomie und klare Ziele – nicht Mikrosteuerung oder Last-Minute-Anforderungen.

Strategische Weichenstellungen für CIOs

Für IT-Verantwortliche ergeben sich daraus klare Handlungsfelder. Erstens braucht es eine klare Plattformstrategie, die Entwicklung, Betrieb und Fachabteilungen enger verzahnt. Ob Low-Code, API-Management oder Developer Portals – ohne eine konsistente technische Basis entstehen Silos, Inkonsistenzen und Ineffizienzen.

Zweitens sollte die Organisation der Entwicklungsteams konsequent auf Interdisziplinarität und Eigenverantwortung ausgelegt sein. Autonome Teams, die in enger Abstimmung mit dem Business arbeiten, liefern schneller und zielgerichteter.

Drittens muss die Developer Experience ganzheitlich gedacht werden – von Tooling und Infrastruktur über Onboarding und Dokumentation bis hin zu psychologischer Sicherheit und Feedbackkultur.

Viertens sollten Nachhaltigkeit und ethische Aspekte frühzeitig verankert werden – sei es durch Guidelines für Green Coding, durch Impact Assessments für KI-Anwendungen oder durch transparente Sicherheitsarchitekturen.

Und schliesslich ist es an der Zeit, Lernkultur und Weiterbildung strategisch zu fördern. Technologien verändern sich rasant – wer nicht investiert, verliert. Das gilt für Menschen ebenso wie für Prozesse und Plattformen.

Der Blick nach vorn: Was bleibt – was kommt?

Die Zukunft des Software Engineerings ist hybrid, automatisiert und verantwortungsvoll. Es wird nicht mehr «die eine» Methode, Plattform oder Rolle geben, sondern eine Vielzahl von spezialisierten Praktiken, die sich je nach Kontext kombinieren lassen. Standardisierung und Individualisierung, Low-Code und Handcoding, agile Teams und strukturierte Governance werden sich nicht ausschliessen, sondern ergänzen müssen.

Automatisierung durch KI wird zunehmend Aufgaben übernehmen, die heute noch manuell erfolgen – vom Code-Review bis zur Fehleranalyse. Gleichzeitig werden neue Disziplinen wie Quantum Programming, GreenOps oder Sustainable Architecture das Berufsbild weiter verändern.

In dieser Gemengelage ist eines klar: Software Engineering bleibt ein hochdynamisches, strategisches und gestalterisches Berufsfeld – mit wachsender Verantwortung und wachsendem Gestaltungsspielraum. Organisationen, die diesen Wandel aktiv annehmen, werden ihn nicht nur bewältigen – sondern davon profitieren.

Moderne Softwareentwicklung ist keine rein technische Disziplin mehr. Sie ist ein Spiegel gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Entwicklungen – und ein Hebel für Innovation, Effizienz und Nachhaltigkeit. Wer Software entwickelt, gestaltet Zukunft. Und wer Software gut entwickelt, gestaltet sie verantwortungsvoll. Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, wie wir diese Verantwortung nutzen. Jetzt ist der Moment, das Software Engineering als strategische Disziplin neu auszurichten – mit klaren Werten, agilen Strukturen, starken Teams und einem Bewusstsein für die Wirkung jedes einzelnen Bits.

Charlotte Guttweiler

Charlotte Guttweiler verfügt über ein Masterdiplom in Software Engineering und hat mehrere Jahre in Deutschland, Südafrika und in den USA in den Bereichen Softwareentwicklung und ITProjekte gearbeitet.