Evolution SW-Entwicklung

Nr. 25-4 aktualisiert 2025-05-23 Lesedauer: min

Moderne Softwareentwicklung im Wandel

Software Engineering hat in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Transformation durchlaufen. Was einst als linearer Prozess mit klaren Phasen und festen Abläufen begann, ist heute ein agiles, kollaboratives und technologisch hochdynamisches Umfeld. Die zunehmende Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft hat die Bedeutung von Software massiv gesteigert – und mit ihr die Anforderungen an Methoden, Tools und Denkweisen. Das hat dazu geführt, dass Softwareunternehmen heute keine reinen Technologielieferanten mehr sind, sondern aktiv neue digitale Geschäftsmodelle gestalten.

Software Engineering hat in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Transformation durchlaufen. (Bild: Fotis Fotopoulos auf Unsplash)

Von der Wasserfall-Logik zum DevOps-Zeitalter

In den Anfangsjahren der Softwareentwicklung orientierte man sich stark an klassischen Ingenieurdisziplinen. Die Prozesse waren streng linear aufgebaut: Zunächst wurden die Anforderungen detailliert dokumentiert, dann folgten Planung, Implementierung, Test und schliesslich der Betrieb. Das sogenannte Wasserfall-Modell galt über Jahrzehnte als Standard. Doch diese Methodik zeigte schnell Schwächen, insbesondere bei komplexen oder sich wandelnden Projekten. Änderungen in späteren Phasen waren teuer und aufwendig – oftmals war die entwickelte Software bereits überholt, bevor sie produktiv genutzt werden konnte.

Mit der Jahrtausendwende kam es zur agilen Wende. Das Agile Manifest von 2001 markierte einen Paradigmenwechsel: Statt schwerfälliger Planung und Dokumentation rückten Flexibilität, Teamarbeit und iterative Entwicklung in den Fokus. Methoden wie Scrum und Kanban erlaubten es, in kurzen Zyklen funktionierende Software zu liefern und kontinuierlich zu verbessern. Die enge Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen förderte ein besseres Verständnis der Geschäftsbedürfnisse und ermöglichte schnellere Reaktionen auf Veränderungen.

Ab etwa 2010 etablierte sich mit DevOps eine neue Kultur, die die Kluft zwischen Entwicklung und Betrieb überbrücken sollte. Durch automatisierte Prozesse, kontinuierliche Integration und Lieferung (CI/CD) sowie den Fokus auf Monitoring und Stabilität wurde Software nicht nur schneller ausgeliefert, sondern auch zuverlässiger betrieben. Heute ist DevOps aus modernen IT-Organisationen kaum mehr wegzudenken. Unterstützt durch cloud-native Technologien, Microservices und Containerisierung hat sich Softwareentwicklung zu einem durchgängigen und eng verzahnten Prozess gewandelt.

Grundprinzipien einer modernen Entwicklungskultur

Die heutigen Prinzipien der Softwareentwicklung lassen sich nicht auf einzelne Methoden reduzieren. Vielmehr geht es um eine ganzheitliche Denkweise, die auf kontinuierlichem Lernen, enger Zusammenarbeit und Automatisierung basiert. Iteratives Arbeiten mit kurzen Feedbackzyklen ist zur Norm geworden. Entwicklerteams liefern regelmässig funktionierende Software aus, um frühzeitig Rückmeldungen zu erhalten und Anpassungen vorzunehmen. Dabei kommt dem Prinzip „Continuous Everything“ eine zentrale Bedeutung zu: Integration, Auslieferung, Tests und Monitoring erfolgen in einem durchgängigen Prozess – möglichst automatisiert.

Ebenso wichtig ist der kollaborative Aspekt: Entwickler arbeiten nicht isoliert, sondern eng mit UX-Designerinnen, Testerinnen, Betriebsspezialisten und Business-Verantwortlichen zusammen. Der Fokus liegt dabei stets auf dem Nutzer und dem Mehrwert für das Unternehmen. Gleichzeitig wird Fehlerkultur grossgeschrieben – Probleme werden nicht vertuscht, sondern offen analysiert, um daraus zu lernen. Diese Haltung trägt entscheidend zur Weiterentwicklung der Teams und Systeme bei.

Auch Themen wie Skalierbarkeit und Resilienz sind in den Vordergrund gerückt. Moderne Softwarearchitekturen müssen nicht nur funktional, sondern auch robust und flexibel sein, um wachsenden Anforderungen und Ausfällen standzuhalten. Die technische Basis bildet oft eine serviceorientierte oder cloud-native Architektur, die dynamisch erweitert und angepasst werden kann.

Neue Rollen und Verantwortlichkeiten

Die Veränderungen in Methodik und Kultur spiegeln sich auch in den Rollen innerhalb von Entwicklungsteams wider. Der klassische Softwareentwickler ist heute nicht mehr nur Coder, sondern übernimmt Verantwortung für Architektur, Qualität, Sicherheit und Betrieb. In vielen Teams hat sich der Product Owner als zentrale Schnittstelle zwischen Fachabteilung und Entwicklung etabliert. Er definiert Anforderungen aus Business-Sicht, priorisiert Aufgaben und sorgt dafür, dass das Team zielgerichtet arbeitet.

Begleitet wird der Entwicklungsprozess häufig durch einen Scrum Master oder Agile Coach, der darauf achtet, dass die agilen Prinzipien eingehalten werden und das Team effektiv zusammenarbeitet. Mit dem Aufkommen von DevOps und cloudbasierten Architekturen sind zudem neue Spezialisten gefragt: Site Reliability Engineers sorgen für Stabilität und Performance, während DevOps- und Platform Engineers sich um Automatisierung, Infrastruktur und Deployment-Prozesse kümmern. UX- und UI-Spezialisten wiederum bringen die Perspektive der Endnutzer ein und tragen damit entscheidend zur Akzeptanz der Software bei.

Diese Rollen sind nicht strikt voneinander getrennt, sondern überschneiden sich oft. Erfolgreiche Teams zeichnen sich durch Interdisziplinarität, Eigenverantwortung und eine hohe kommunikative Kompetenz aus.

Methoden und Frameworks: Agilität als Standard

Agile Vorgehensweisen sind heute fester Bestandteil fast jeder IT-Organisation – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Scrum ist dabei eines der bekanntesten Frameworks, das durch feste Rollen, Sprints und eine klare Meetingstruktur Orientierung gibt. Kanban hingegen eignet sich besonders für Teams, die einen kontinuierlichen Fluss von Aufgaben ohne starre Iterationen bevorzugen.

In grösseren Organisationen gewinnt die Skalierung agiler Methoden an Bedeutung. Frameworks wie SAFe (Scaled Agile Framework), LeSS (Large Scale Scrum) oder das Spotify-Modell versuchen, Agilität über einzelne Teams hinaus zu ermöglichen und gleichzeitig strategische Steuerung zu behalten. Parallel dazu etablieren sich methodische Ansätze wie Domain-Driven Design, die helfen, komplexe Geschäftslogik besser zu strukturieren und softwareseitig umzusetzen.

Neben der Methodik sind auch technikorientierte Praktiken wie Clean Code, Test-Driven Development oder Continuous Testing essenziell. Sie tragen dazu bei, die Wartbarkeit, Qualität und Nachhaltigkeit von Software langfristig zu sichern – ein Aspekt, der in der Schweizer IT-Branche mit ihrem Fokus auf Langlebigkeit und Zuverlässigkeit besonders geschätzt wird.

Aktuelle Herausforderungen in der Praxis

Trotz der vielen Fortschritte ist Softwareentwicklung heute nicht einfacher geworden – im Gegenteil. Die technologische Komplexität steigt stetig. Neue Frameworks, Programmiersprachen und Cloud-Plattformen entstehen in rascher Folge, was einen hohen Lern- und Anpassungsdruck mit sich bringt. Gleichzeitig sehen sich viele Organisationen mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Legacy-Systeme in moderne Architekturen zu überführen – ein Vorhaben, das technisches Können und strategisches Augenmass erfordert.

Auch Sicherheitsanforderungen spielen eine wachsende Rolle. Angesichts zunehmender Cyberbedrohungen muss Security frühzeitig mitgedacht und tief in den Entwicklungsprozess integriert werden. Konzepte wie DevSecOps versuchen genau das zu erreichen. Hinzu kommt der Fachkräftemangel: In der Schweiz bleibt es schwierig, qualifizierte Softwareentwicklerinnen und -entwickler zu finden – insbesondere mit Kompetenzen in neuen Technologien.

Ein weiterer Knackpunkt liegt in der Skalierung agiler Arbeitsweisen. Während kleine Teams gut mit agilen Prinzipien arbeiten, tun sich grössere Organisationen oft schwer, diese Dynamik beizubehalten. Hier sind strukturelle Anpassungen und ein konsequenter Kulturwandel gefragt.

Die Zukunft des Software Engineerings: Trends mit Potenzial

Der Blick nach vorn zeigt: Die Softwareentwicklung steht erneut vor einem tiefgreifenden Wandel. Künstliche Intelligenz hat begonnen, auch den Programmierprozess zu verändern. Tools wie GitHub Copilot oder CodeWhisperer unterstützen Entwickler beim Schreiben von Code, schlagen Lösungen vor und automatisieren Routinetätigkeiten. Das führt zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine – und stellt Fragen nach Qualitätssicherung, Nachvollziehbarkeit und Ethik.

Parallel dazu verbreiten sich Low-Code- und No-Code-Plattformen, die es auch Nicht-Programmierern ermöglichen, Anwendungen zu erstellen. Fachabteilungen erhalten so mehr Eigenständigkeit – doch IT-Teams müssen dafür sorgen, dass Governance, Sicherheit und Skalierbarkeit gewährleistet bleiben. Der Trend zur Demokratisierung der Softwareentwicklung birgt grosses Potenzial, verlangt aber neue Regeln und Verantwortlichkeiten.

Noch in den Kinderschuhen steckt das Quantencomputing. Erste Programmiersprachen und Frameworks sind bereits verfügbar, doch der praktische Einsatz ist bislang auf Forschungsprojekte beschränkt. Sollte die Technologie jedoch marktreif werden, wird sie ganze Branchen und Rechenmodelle verändern.

Ein weiterer Zukunftstrend ist das sogenannte „Green Coding“. Angesichts wachsender Energiebedarfe wird der ökologische Fussabdruck von Software immer relevanter. Unternehmen beginnen, ihre Systeme unter Effizienzgesichtspunkten zu optimieren – von der Wahl des Algorithmus bis hin zur Architektur. Nachhaltigkeit wird so zu einem Faktor in Architekturentscheidungen und ein Wettbewerbsvorteil in digitalisierten Märkten.

Nicht zuletzt gewinnt die interne Plattformisierung an Bedeutung: Entwickler sollen nicht mehr jedes Mal bei null beginnen, sondern auf standardisierte, selbstbedienbare Plattformen zurückgreifen können, die Infrastruktur, Tools und Workflows bereitstellen. Der Fokus auf Developer Experience wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor für die Produktivität und Zufriedenheit der Teams.

Moderne Softwareentwicklung ist heute weit mehr als die Summe ihrer Technologien. Sie ist ein strategischer Erfolgsfaktor für Unternehmen, eine kulturelle Herausforderung für Organisationen und ein Innovationsmotor für die Gesellschaft. In der Schweiz, wo Präzision, Sicherheit und Qualität traditionell grossgeschrieben werden, bietet Software Engineering enormes Potenzial – wenn es gelingt, Technologie, Methodik und Menschen sinnvoll miteinander zu verbinden.

Christian Bühlmann

Chefredaktor Computerworld

Christian Bühlmann ist Chefredaktor der Computerworld und engagiert sich in der IT-Branche seit mehr als 30 Jahren als Fachautor, Berater und Projektleiter mit den Herausforderungen von Unternehmen in der digitalen Welt.