Softwarequalität

Nr. 25-4 aktualisiert 2025-05-23 Lesedauer: min

Softwarequalität neu gedacht: Vom Prüfmerkmal zum strategischen Erfolgsfaktor

In einer zunehmend digitalisierten Welt ist Software das Rückgrat vieler Geschäftsprozesse. Ihre Qualität entscheidet nicht nur über die Zufriedenheit der Nutzer, sondern auch über Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Innovationskraft eines Unternehmens. Längst ist Softwarequalität nicht mehr nur eine technische Kennzahl, sondern ein unternehmensstrategisches Asset – mit direktem Einfluss auf Kosten, Markenimage und Time-to-Market.

Während sich die Methoden der Softwareentwicklung rasant gewandelt haben – von Waterfall über Agile bis zu DevOps –, ist das Qualitätsverständnis in vielen Organisationen erstaunlich statisch geblieben. Noch immer wird Qualität häufig am Ende eines Projekts „geprüft“, statt sie von Anfang an systematisch mitzudenken. Doch wer Softwarequalität im Zeitalter von Continuous Delivery, Cloud und KI richtig versteht, kann nicht nur Fehler vermeiden, sondern echten Mehrwert schaffen.

Die Qualität von Software hat grossen Einfluss auf das gesamte Unternehmen. (Bild Glsun Mall auf Unsplash)

Was bedeutet Softwarequalität heute?

Traditionell wurde Softwarequalität als Summe technischer Eigenschaften betrachtet: Funktionalität, Performance, Wartbarkeit, Sicherheit, Portabilität. Inzwischen hat sich das Verständnis deutlich erweitert. Qualität umfasst heute sowohl technische als auch nutzerzentrierte Aspekte – von der Robustheit der Architektur bis zur User Experience.

Die ISO-Norm 25010, die viele Organisationen als Referenz nutzen, unterscheidet acht Qualitätsmerkmale: funktionale Eignung, Leistungsfähigkeit, Kompatibilität, Benutzbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Wartbarkeit und Übertragbarkeit. Doch diese Merkmale sind nur der Ausgangspunkt. Moderne Ansätze wie Design for Quality, Shift Left oder DevSecOps zielen darauf ab, Qualität als integralen Bestandteil des gesamten Entwicklungsprozesses zu verstehen – und nicht nur als Testphase am Ende.

Zudem wird Software zunehmend als Service gedacht. Qualität bedeutet daher nicht mehr nur „wenig Fehler“, sondern auch Skalierbarkeit, Änderbarkeit und Wiederverwendbarkeit. In agilen und DevOps-orientierten Organisationen ist Softwarequalität ein laufender Prozess, kein Abschlussziel.

Qualitätssicherung als integrierter Prozess

Moderne Qualitätssicherung beginnt nicht beim Test, sondern bei der Anforderungsdefinition. Wer unklare oder unstimmige Anforderungen umsetzt, produziert zwangsläufig qualitativ schlechte Software – unabhängig von der technischen Umsetzung. Daher ist es entscheidend, dass Business und IT gemeinsam ein klares Verständnis der erwarteten Funktionalität entwickeln.

Im weiteren Verlauf kommt es darauf an, Qualität kontinuierlich zu überprüfen und zu verbessern. Testautomatisierung ist dabei ein zentrales Element. Automatisierte Unit-Tests, Integrationstests, Performance- und Sicherheitstests ermöglichen schnelle Feedbackschleifen und verhindern, dass sich Fehler durch den gesamten Lebenszyklus ziehen. Gerade in DevOps-Umgebungen mit mehreren Deployments pro Tag ist dies unverzichtbar.

Ein weiteres wichtiges Element ist die Codequalität. Clean Code, statische Codeanalyse und Pair Programming tragen dazu bei, die Lesbarkeit, Wartbarkeit und Verständlichkeit des Codes zu sichern – zentrale Faktoren für die langfristige Produktqualität. Tools wie SonarQube, ESLint oder Checkstyle helfen dabei, Verstösse gegen definierte Standards frühzeitig zu erkennen.

Gleichzeitig gewinnen Observability und Monitoring an Bedeutung. Qualität endet nicht beim Release, sondern umfasst auch den laufenden Betrieb. Fehlerraten, Latenzen oder Nutzerverhalten liefern wertvolle Hinweise auf potenzielle Probleme – oft, bevor sie eskalieren.

Metriken und KPIs: Qualität sichtbar machen

Um Qualität messbar und steuerbar zu machen, braucht es geeignete Metriken. Doch genau hier liegt eine grosse Herausforderung. Nicht alles, was zählt, lässt sich einfach messen – und nicht alles, was sich messen lässt, ist automatisch relevant. Entscheidend ist, Kennzahlen zu wählen, die zur Zielsetzung und Reife der Organisation passen.

Zu den häufig genutzten Metriken zählen:

  • Code Coverage: Misst den Anteil des Codes, der durch automatisierte Tests abgedeckt ist. Allein sagt sie wenig über die Testqualität, ist aber ein guter Anhaltspunkt.
  • Defect Density: Gibt die Anzahl an Fehlern pro Zeile Code oder pro Feature an – relevant vor allem bei grösseren Systemen.
  • Mean Time to Repair (MTTR): Zeigt, wie schnell Fehler behoben werden können – ein wichtiger Indikator in DevOps-Kontexten.
  • Change Failure Rate: Misst, wie häufig Änderungen in der Software zu Fehlern führen – auch Teil der „DORA Metrics“ (siehe unten).
  • Customer Satisfaction (CSAT) & Net Promoter Score (NPS): Qualitätswahrnehmung aus Sicht der Nutzer.
  • Technical Debt Index: Gibt an, wie gross die technische Verschuldung ist – etwa durch nicht dokumentierten, unleserlichen oder ineffizienten Code.

Besonders im Fokus stehen aktuell die sogenannten DORA-Metriken, benannt nach dem DevOps Research and Assessment Team. Diese vier KPIs – Deployment Frequency, Lead Time for Changes, Change Failure Rate und MTTR – gelten als besonders aussagekräftig für die Performance von DevOps-Teams und erlauben Vergleiche zwischen Teams oder Releases.

Softwarequalität als Führungs- und Kulturthema

Qualität lässt sich nicht allein durch Prozesse oder Tools sichern – sie ist vor allem eine Frage der Kultur und Führung. In Organisationen, in denen Zeitdruck, Silodenken oder Schuldzuweisungen dominieren, wird Qualität oft zur Nebensache. In Unternehmen hingegen, die offene Kommunikation, Lernen aus Fehlern und interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern, wächst ein Qualitätsbewusstsein von innen heraus.

Führungskräfte spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Sie müssen nicht nur Qualitätsziele definieren, sondern auch entsprechende Ressourcen bereitstellen, die nötigen Rollen etablieren (z. B. Quality Engineers, Test Automation Specialists, Reliability Engineers) und den Wert von Qualität kommunizieren. Wer Qualität nur als Kostenfaktor sieht, verliert langfristig Marktanteile – sei es durch schlechte Nutzererfahrungen, Sicherheitslücken oder hohe Wartungskosten.

Warum Qualität zum strategischen Faktor wird

Softwarequalität ist längst kein technisches Thema mehr, sondern ein kritischer Erfolgsfaktor für die digitale Transformation. Unternehmen, die qualitativ hochwertige Software entwickeln, profitieren gleich mehrfach: Sie reduzieren langfristig die Wartungskosten, erhöhen die Zufriedenheit ihrer Kundinnen und Kunden, vermeiden sicherheitsrelevante Vorfälle – und können Innovationen schneller umsetzen.

Gerade im internationalen Wettbewerb ist Qualität ein Differenzierungsmerkmal. Während Time-to-Market entscheidend bleibt, gewinnt die nachhaltige Lieferfähigkeit – also die Fähigkeit, kontinuierlich stabile und erweiterbare Software bereitzustellen – an Gewicht. Unternehmen, die hier frühzeitig investieren, verschaffen sich einen strategischen Vorteil. Zudem spielt Qualität eine zentrale Rolle bei der Integration neuer Technologien. Ob KI-gestützte Systeme, Low-Code-Anwendungen oder komplexe Plattformarchitekturen: Nur wenn die Qualität gesichert ist, können diese Technologien ihr Potenzial entfalten.

Softwarequalität ist kein Ziel, das man einmal erreicht und dann abhaken kann – sie ist ein kontinuierlicher Prozess, der alle Phasen der Softwareentwicklung durchdringt. Organisationen, die Qualität systematisch und ganzheitlich denken, profitieren nicht nur von weniger Fehlern, sondern von höherer Innovationskraft, schnelleren Releases und zufriedeneren Kunden. In einer digitalen Welt, in der Software immer öfter das Produkt selbst ist, entscheidet Qualität über den Erfolg – strategisch, operativ und kulturell. Wer Softwarequalität nicht nur misst, sondern lebt, hat die besten Chancen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Christian Bühlmann

Chefredaktor Computerworld

Christian Bühlmann ist Chefredaktor der Computerworld und engagiert sich in der IT-Branche seit mehr als 30 Jahren als Fachautor, Berater und Projektleiter mit den Herausforderungen von Unternehmen in der digitalen Welt.