Green Software
Green Software Engineering
Digitalisierung und Nachhaltigkeit gelten gemeinhin als zwei zentrale Transformationsbewegungen unserer Zeit – doch sie stehen bislang selten im direkten Zusammenhang. Während Rechenzentren, Cloud-Plattformen und Softwareanwendungen unsere Wirtschaft effizienter machen, wächst zugleich ihr ökologischer Fussabdruck. Der Energieverbrauch digitaler Systeme steigt rapide, ebenso die Emissionen entlang der IT-Lieferkette.
In diesem Kontext rückt ein neuer Ansatz ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Green Software Engineering. Gemeint ist ein bewusst nachhaltiger Umgang mit Software – von der Konzeption über die Entwicklung bis zum Betrieb. Nicht nur für Umweltverantwortliche, sondern auch für CIOs, CTOs und Softwarearchitekten gewinnt das Thema strategisch an Bedeutung. Denn nachhaltige Software ist nicht nur ökologisch, sondern oft auch robuster, effizienter und wirtschaftlicher.

Der ökologische Fussabdruck von Software
Software scheint auf den ersten Blick immateriell – sie lässt sich kopieren, verteilen und betreiben, ohne dass sie sichtbar Ressourcen verbraucht. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich eine andere Realität: Jede Zeile Code, jeder Algorithmus, jede Datenbankabfrage beansprucht Strom und Rechenleistung. Gerade moderne Softwarelösungen, die häufig cloudbasiert, datenintensiv und permanent verfügbar sind, tragen erheblich zum Energieverbrauch von IT-Systemen bei.
Dabei geht es nicht nur um den Stromverbrauch einzelner Server, sondern um eine Vielzahl von Faktoren: Datenübertragung über globale Netzwerke, Speicheranforderungen in Rechenzentren, notwendige Updates und Upgrades, die Rechenlast auf Endgeräten oder die Nutzung externer APIs. Besonders energiehungrig sind Anwendungen im Bereich Künstliche Intelligenz, etwa beim Training grosser Sprachmodelle oder bei Echtzeit-Analysen.
Software beeinflusst zudem, wie effizient Hardware genutzt wird. Träge Anwendungen oder aufgeblähte Updates führen dazu, dass Geräte schneller altern oder ersetzt werden müssen. Damit trägt Software auch indirekt zur Ressourcenverschwendung bei – durch verkürzte Lebenszyklen, erhöhtes Datenvolumen und steigende Hardwareanforderungen.
Was ist Green Software Engineering?
Green Software Engineering zielt darauf ab, diese Auswirkungen von Anfang an zu berücksichtigen. Es geht nicht darum, die Digitalisierung zu bremsen, sondern sie effizienter und verantwortungsvoller zu gestalten. Dabei stehen mehrere Grundprinzipien im Zentrum, die sich quer durch den gesamten Lebenszyklus von Software ziehen – von der Planung über die Entwicklung bis zum Betrieb.
Im Zentrum steht der Gedanke, dass Software so konzipiert und betrieben wird, dass ihr Energieverbrauch möglichst gering ist. Das kann durch effiziente Algorithmen, optimierte Datenstrukturen oder gezieltes Lastmanagement geschehen. Auch die Wahl der Programmiersprache oder des Cloud-Anbieters hat Auswirkungen: So benötigt ein in Rust geschriebener Webdienst unter Umständen deutlich weniger Rechenressourcen als ein vergleichbarer Dienst in Python.
Ein weiteres Ziel ist es, Software so zu gestalten, dass sie langlebig und wartungsarm ist. Das betrifft sowohl den Code selbst – der modular, verständlich und gut dokumentiert sein sollte – als auch die zugrunde liegende Architektur. Clean Architecture und Domain-Driven Design fördern hier nicht nur technische Qualität, sondern auch ökologische Nachhaltigkeit, weil sie Anpassungen vereinfachen und Neuimplementierungen reduzieren.
Auch das Nutzungsverhalten spielt eine Rolle. Software kann so gestaltet werden, dass sie energieeffizientes Verhalten fördert – etwa durch einen optionalen „Energiesparmodus“, durch das Vermeiden unnötiger Hintergrundprozesse oder durch die Reduktion von visuellen Effekten. Besonders bei mobilen Apps und webbasierten Anwendungen sind solche Massnahmen mit wenig Aufwand umsetzbar, haben aber grosse Wirkung bei vielen Nutzern.
Werkzeuge und Strategien für nachhaltige Entwicklung
In der Praxis lassen sich verschiedene Werkzeuge nutzen, um Nachhaltigkeit in der Softwareentwicklung mess- und steuerbar zu machen. Dazu zählen etwa Simulations-Tools, die den Stromverbrauch einzelner Komponenten analysieren, oder Monitoring-Werkzeuge, die den Energiebedarf im laufenden Betrieb erfassen. Noch ist die Landschaft dieser Tools heterogen und wenig standardisiert, doch Initiativen wie die Green Software Foundation arbeiten daran, das zu ändern.
Auch DevOps-Prozesse lassen sich anpassen, um nachhaltiger zu sein. Beispielsweise kann die Anzahl automatisierter Tests, die nachts oder am Wochenende laufen, optimiert werden. Unnötige Builds können vermieden, Container gezielter orchestriert oder Datenbankzugriffe effizienter gestaltet werden. Die Integration von Green Metrics in CI/CD-Pipelines ist ein vielversprechender Ansatz, um Entwicklerinnen und Entwickler für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen zu sensibilisieren.
Die Wahl des Hosting-Standorts spielt ebenfalls eine Rolle: Wer Cloud-Dienste nutzt, kann auf Regionen mit CO₂-neutralem Strommix setzen – wie etwa die Schweizer Datenzentren grosser Hyperscaler. Zusätzlich bieten manche Anbieter die Möglichkeit, den CO₂-Fussabdruck einzelner Ressourcen zu messen oder mit Kompensationsmodellen zu verknüpfen.
Nachhaltigkeit als Bestandteil von Softwarequalität
Traditionell wird Softwarequalität anhand von Kriterien wie Funktionalität, Zuverlässigkeit, Wartbarkeit oder Sicherheit gemessen. Green Software Engineering erweitert diesen Qualitätsbegriff um ein neues Kriterium: Nachhaltigkeit. Das bedeutet, dass Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Umweltwirkung künftig genauso bewertet werden wie Fehlerraten oder Usability.
Für Unternehmen bietet sich damit die Chance, ihre Softwarequalität strategisch neu auszurichten. Nachhaltige Software ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern oft auch wirtschaftlich klüger. Sie benötigt weniger Rechenleistung, verursacht geringere Infrastrukturkosten, ist langlebiger und besser wartbar. Gleichzeitig entsteht ein reputativer Vorteil, denn sowohl Kunden als auch Investoren achten zunehmend auf ökologische Kennzahlen.
Besonders in der Schweiz, wo Umweltbewusstsein und Innovationsfähigkeit traditionell hoch gewichtet sind, kann sich Green Software Engineering als Differenzierungsmerkmal etablieren – sowohl im internationalen Wettbewerb als auch in der Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen, die zunehmend auf nachhaltige IT-Lösungen setzen.
Herausforderungen und kultureller Wandel
Trotz der vielen Vorteile ist Green Software Engineering kein Selbstläufer. In vielen Organisationen fehlt bislang das Wissen, wie Softwareentwicklungsprozesse ökologisch bewertet und optimiert werden können. Zudem stehen kurzfristige Ziele wie Time-to-Market oder Funktionsvielfalt oft im Vordergrund, während Nachhaltigkeitsaspekte als zweitrangig behandelt werden.
Hier ist ein Umdenken gefragt – vergleichbar mit dem Kulturwandel, der durch Agile und DevOps ausgelöst wurde. Nachhaltigkeit muss Teil der Unternehmenskultur werden, getragen von IT-Leitung, Architekturverantwortlichen, aber auch von Entwicklerteams selbst. Schulungen, klare Richtlinien und sichtbare Vorbilder sind zentrale Bausteine auf diesem Weg.
Auch regulatorisch wird sich das Thema verschärfen. Mit dem EU Green Deal, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und nationalen Strategien wie der Schweizer Digitalpolitik wird der Druck steigen, Nachhaltigkeit auch im Softwarebereich nachzuweisen. Unternehmen, die hier frühzeitig investieren, verschaffen sich Handlungsspielräume und vermeiden spätere Nachbesserungen.
Green Software Engineering bringt ein neues Denken in die IT: Softwareentwicklung wird nicht länger nur unter Effizienz- oder Businessgesichtspunkten betrachtet, sondern auch unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit. Diese Sichtweise eröffnet neue Handlungsoptionen – für Entwickler, für Architekten und für Unternehmen insgesamt.