Low-Code/No-Code

Nr. 25-4 aktualisiert 2025-05-23 Lesedauer: min

Low-Code/No-Code: das Potenzial der visuellen Softwareentwicklung

Die Nachfrage nach Softwarelösungen steigt exponentiell – schneller, als klassische IT-Organisationen liefern können. Fachabteilungen wünschen sich neue Tools, Workflows oder Anwendungen innerhalb von Wochen statt Monaten. Gleichzeitig kämpfen Unternehmen in der Schweiz wie weltweit mit einem anhaltenden Fachkräftemangel im IT-Bereich. In diesem Spannungsfeld gewinnen Low-Code- und No-Code-Plattformen rasant an Bedeutung.

Was vor wenigen Jahren noch als Spielwiese für Bastler galt, hat sich heute zu einem ernstzunehmenden Marktsegment entwickelt: die schnelle und einfache Erstellung von Anwendungen mit minimalem Codeeinsatz – teilweise ganz ohne klassische Programmierung. Dabei verschiebt sich die Verantwortung für Softwareentwicklung zunehmend in Richtung der Fachabteilungen. Doch dieser Trend bringt nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen für CIOs, IT-Leiter und Softwarearchitekten. Low-Code/No-Code verändert das klassische Software Engineering. Mit Auswirkungen auf Governance, Qualitätssicherung und Zusammenarbeit.

Low-Code/No-Code Engineering ist ein Paradigmenwechsel in der Softwareentwicklung. (Bild: Gerd Altmann from Pixabay)

Was ist eigentlich Low-Code / No-Code?

Low-Code- und No-Code-Plattformen sind Entwicklungsumgebungen, mit denen Softwareanwendungen visuell modelliert und automatisiert werden können. Der Unterschied liegt im Grad der technischen Tiefe:

  • Low-Code ermöglicht es Entwicklern, Anwendungen durch grafische Benutzeroberflächen zu erstellen, ergänzt durch manuelle Codeerweiterungen für komplexe Logik.
  • No-Code richtet sich an sogenannte „Citizen Developers“ – meist Power-User aus dem Business, die ganz ohne Programmierkenntnisse eigene Apps zusammenstellen können.

Typische Anwendungsfelder sind Formulare, Dashboards, Workflows, mobile Apps oder Datenvisualisierungen. In der Praxis verschwimmen die Grenzen häufig. Viele Plattformen bieten Low- und No-Code-Funktionalität in einem System und ermöglichen eine spätere Erweiterung durch professionelle Entwickler.

Treiber für den Aufstieg der Plattformen

Mehrere Faktoren haben zum Aufstieg von Low-Code/No-Code beigetragen:

Erstens zwingt der akute Fachkräftemangel Unternehmen dazu, produktiver mit vorhandenen Ressourcen umzugehen. Laut Bitkom fehlen allein im DACH-Raum zehntausende Softwareentwicklerinnen und -entwickler – ein strukturelles Problem, das sich nicht kurzfristig lösen lässt.

Zweitens steigen die Erwartungen der Fachbereiche. Sie wünschen sich digitale Lösungen, die sich flexibel an neue Anforderungen anpassen lassen. Statt auf lange IT-Projekte zu warten, wollen sie Tools, mit denen sie schnell selbst tätig werden können.

Drittens treiben viele Unternehmen die Digitalisierung interner Prozesse voran. Dabei geht es nicht immer um hochkomplexe Systeme, sondern oft um einfache Workflows, Formulare oder Prozessautomatisierungen – ideal für visuelle Entwicklungstools.

Schliesslich erlaubt die Cloud eine neue Skalierbarkeit und Zugänglichkeit solcher Plattformen. Was früher komplexe On-Premises-Installationen erforderte, ist heute über SaaS-Angebote für Teams jeder Grösse nutzbar.

Chancen und Potenziale

Low-Code- und No-Code-Plattformen versprechen eine Reihe von Vorteilen – insbesondere im Hinblick auf Geschwindigkeit, Flexibilität und Innovationsfähigkeit:

  • Beschleunigte Entwicklung: Prototypen und Anwendungen können in Tagen statt Wochen erstellt werden. Dies erlaubt schnelles Testen und frühes Feedba
  • Entlastung der IT-Abteilungen: Standardanwendungen oder interne Tools können von Fachabteilungen selbst erstellt werden. Die IT konzentriert sich auf komplexere Aufgaben.
  • Bessere Zusammenarbeit zwischen Business und IT: Durch die visuelle Darstellung von Prozessen und Logik entsteht ein gemeinsames Verständnis, das Abstimmungen erleichtert.
  • Förderung digitaler Kompetenz: Fachbereiche übernehmen mehr Verantwortung für ihre digitalen Prozesse und entwickeln neue Fähigkeiten.
  • Kosteneffizienz: Kleine Anwendungen müssen nicht mehr aufwendig durch Entwicklerteams gebaut werden, was Ressourcen und Budget spart.

Besonders in mittelgrossen Unternehmen, aber auch in der öffentlichen Verwaltung oder im Gesundheitswesen zeigt sich, wie Low-Code den Zugang zu Digitalisierung demokratisiert.

Herausforderungen und Risiken

Trotz der vielen Vorteile sind Low-Code/No-Code-Plattformen kein Allheilmittel. Ohne klare Regeln und technische Anbindung drohen Wildwuchs, Sicherheitslücken und Wartungsprobleme.

  1. Governance und Kontrolle: Ein häufiger Kritikpunkt ist der Mangel an Transparenz. Wenn jede Abteilung eigene Apps baut, verliert die zentrale IT schnell den Überblick. Ohne klare Richtlinien zur Plattformnutzung, Datenhaltung, Benutzerverwaltung und Sicherheitsprüfung entstehen Schatten-IT-Strukturen mit hohem Risiko.
  2. Qualität und Skalierbarkeit: Was für kleine Anwendungen funktioniert, stösst bei wachsender Komplexität schnell an Grenzen. Viele Plattformen sind nicht dafür ausgelegt, grosse, unternehmenskritische Systeme zu betreiben. Auch Versionierung, Tests, Codequalität und Dokumentation sind häufig schwächer ausgeprägt als in traditionellen Entwicklungsumgebungen.
  3. Integration in die IT-Landschaft: Datenanbindung und API-Nutzung sind zentrale Anforderungen. Low-Code-Anwendungen müssen sauber in bestehende Systeme wie ERP, CRM oder Identity Management integriert werden. Ohne technisches Know-how ist das oft schwierig.
  4. Kulturwandel und Rollenverständnis: Low-Code erfordert ein neues Zusammenspiel zwischen Fachbereichen und IT. Die Rolle des „Citizen Developers“ ist nicht klar definiert – ebenso wenig wie die Verantwortung für Wartung, Weiterentwicklung und Support.

Strategien für den erfolgreichen Einsatz

Damit Low-Code/No-Code nicht zum Problem, sondern zur Chance wird, braucht es eine klare Strategie:

  • Plattform-Governance aufbauen: IT und Business müssen gemeinsam Standards definieren – etwa für Zugang, Datenmodellierung, Sicherheit und Review-Prozesse.
  • Zentralisierte Plattform wählen: Statt viele Tools nebeneinander einzusetzen, empfiehlt sich eine unternehmensweite Low-Code-Plattform mit kontrolliertem Zugang.
  • Enablement und Schulung: Fachabteilungen brauchen Schulungen, Guidelines und Support, um sinnvoll mit den Tools arbeiten zu können.
  • Citizen Developer gezielt fördern: Engagierte Mitarbeitende aus dem Business können als Bindeglieder agieren – mit Rückendeckung der IT.
  • Koordination mit klassischem Software Engineering: Low-Code ersetzt nicht die professionelle Entwicklung – beide Ansätze müssen sinnvoll koordiniert und integriert werden.

Auswirkungen auf klassische Entwicklerrollen

Ein häufiger Vorbehalt gegenüber Low-Code ist die vermeintliche Bedrohung für klassische Entwicklerberufe. Tatsächlich verschiebt sich die Rolle von Software Engineers jedoch nicht in Richtung Obsoleszenz – sondern hin zu mehr strategischer Verantwortung.

Entwickler werden künftig verstärkt in folgenden Bereichen gefragt:

  • Architektur und Integration: Die Anbindung von Low-Code-Anwendungen an bestehende Systeme erfordert fundiertes technisches Verständnis.
  • Plattformaufbau und -betrieb: Die Einrichtung, Erweiterung und Wartung der Entwicklungsplattformen bleibt eine Aufgabe der IT.
  • Qualitätssicherung und Sicherheit: Auch Low-Code-Produkte müssen getestet, überwacht und geschützt werden.
  • Mentoring und Enablement: Entwickler übernehmen eine coachende Rolle und unterstützen Citizen Developers bei komplexen Herausforderungen.

Statt ein Entweder-oder zu diskutieren, sollten Unternehmen auf eine konstruktive Koexistenz setzen – mit klaren Zuständigkeiten, Schnittstellen und gemeinsamem Ziel: bessere Software schneller und effizienter bereitzustellen.

Low-Code und No-Code sind gekommen, um zu bleiben. Sie stellen nicht das Ende des Software Engineerings dar, sondern eine bedeutende Erweiterung des Werkzeugkastens. In einer Zeit, in der Geschwindigkeit, Nutzerorientierung und Ressourceneffizienz zentrale Erfolgsfaktoren sind, bieten visuelle Entwicklungsplattformen einen gangbaren Weg, Digitalisierung zu beschleunigen – vorausgesetzt, sie werden strukturiert gesteuert und sinnvoll integriert. Die Zukunft gehört hybriden Entwicklungsmodellen, in denen professionelle Software Engineers und Business-Nutzer gemeinsam Anwendungen gestalten.

Christian Bühlmann

Chefredaktor Computerworld

Christian Bühlmann ist Chefredaktor der Computerworld und engagiert sich in der IT-Branche seit mehr als 30 Jahren als Fachautor, Berater und Projektleiter mit den Herausforderungen von Unternehmen in der digitalen Welt.