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Verbandsnachrichten Wirtschaftsinformatik Schweiz (VIW)

Mit offenen Technologien zur Individualisierung

Mit der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung ebnen offene Technologien den Weg, das ERP-System auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Kundinnen und Kunden zu individualisieren.

Quelle: Adobe Stock

Die Fähigkeit zu besitzen, Produkte, Dienstleistungen und Prozesse an die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden anzupassen, wird für Unternehmen zusehends zum Schlüsselfaktor. Das eingesetzte ERP-System oder vielmehr seine Anpassungsfähigkeit und Erweiterbarkeit spielen dabei eine zentrale Rolle. Eine modulare Struktur und offene Architektur bieten bei der Software die Voraussetzung, offene Web-Standards das «Werkzeug», um Technologien, Software von Drittherstellern und selbst entwickelte Applikationen ins System zu integrieren.

Dank offener Schnittstellen Daten flexibel nutzen

Eine datengetriebene Schnittstelle, im Fachjargon API (Application Programming Interface) genannt, ist bei einer modernen Business Software heute unverzichtbar, um mit den aktuellen Technologieentwicklungen mithalten zu können. Sie ermöglicht auf der Grundlage vordefinierter Regeln und Standards, Daten zwischen verschiedenen IT-Systemen auszutauschen und zu integrieren. Anspruchsvoller wird die Frage nach der Schnittstelle, wenn neben dem reinen Datenaustausch Prozesse auch auf funktionaler Ebene automatisiert bzw. Aktionen ausgelöst werden sollen, wie beispielsweise das Starten eines Vorgangs innerhalb eines Systems. Eine solche Schnittstelle sollte so konzipiert sein, dass sie nicht von den Technologien abhängt, die in einem Unternehmen eingesetzt werden. Auf diese Weise kann sie unabhängig des ERP-Systems oder anderer Technologien in einer IT-Infrastruktur verwendet werden. Offene und technologieunabhängige Schnittstellen sind flexibler, einfacher zu integrieren und erleichtern die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Systemen und Anwendungen.

Eine Möglichkeit, um eine offene Schnittstelle zu beschreiben, ist eine REST API. REST APIs nutzen den HTTP-Standard und verwenden HTTP-Methoden, um Daten auszutauschen und in Applikationen automatisch Aktionen auszulösen. Die Daten selbst werden dabei häufig in JSON oder XML ausgetauscht. Dank der offenen Standards HTTP, JSON und XML können solche Schnittstellen mit den verschiedensten Technologien «konsumiert» werden. Das ERP lässt sich dadurch ohne unnötige technologische Hürden mit unterschiedlichster Software kombinieren, da der Datenimport und -export sowie die Prozesse innerhalb der Software automatisiert werden können.

Dank offener Technologien bedürfnisgerecht individualisieren

Das ERP-System bildet innerhalb eines Unternehmens die Drehscheibe und den zentralen Datenhub. Basiert die Software auf einem flexiblen und leicht anpassbaren Datenmodell, eröffnen sich durch die REST API zahlreiche Individualisierungsmöglichkeiten. Die Schnittstelle passt sich in der Regel ohne weiteres Zutun dem Datenmodell an, wodurch sich Entwicklerinnen und Entwickler bei der Programmierung individueller Lösungen auf die Oberfläche der Software (Frontend) konzentrieren können. Das Daten-Backend wird automatisch generiert und die Daten miteinander verknüpft, wodurch Redundanzen vermieden werden.

Eine weitere Möglichkeit zur Individualisierung von ERP-Systemen bieten Add-ins. Add-ins sind Zusatzprogramme, die in eine bestehende Software integriert werden können, um deren Funktionalität zu erweitern oder spezifische Aufgaben zu automatisieren. Sie werden oft von Drittanbietern und ebenfalls häufig mit offenen Web-Technologien entwickelt. Dies vereinfacht den Einstieg in die Programmierung und eröffnet den Zugang zu einem grossen Spektrum an möglichen Technologien. Dabei ist generell festzustellen, dass sich Technologien aus dem Web zusehends als kleinster gemeinsamer, plattformunabhängiger Nenner etablieren. Deshalb sind Web-Technologien wie ECMAScript/JavaScript sowie HTML und HTTP immer häufiger auch in Anwendungen ausserhalb des World Wide Webs zu finden.

Eine immer wichtigere Rolle im Customizing von ERP-Systemen spielen auch KI-Technologien und Machine-Learning-Modelle. Ein interessanter Aspekt im Zusammenhang mit Data First, Automation und Vernetzung ist die Möglichkeit, Daten anzureichern und zu veredeln. So können Daten, die in einem ERP-System erfasst wurden, an Web-Services von Drittanbietern weitergeleitet werden, um diese Daten mit zusätzlichen Informationen anzureichern. Diese Informationen werden dann automatisch zurück ins System gespielt und für weitere Prozesse genutzt. Ein konkretes Beispiel: Rechnungen werden in ein ERP-System eingescannt sowie gespeichert und anschliessend automatisch an den Web-Service weitergeleitet. Mithilfe Deep-Learning-Algorithmen werden die für den Kreditorenprozess relevanten Daten aus dem Beleg gelesen und der Kreditor via Schnittstelle direkt ins ERP gebucht.

Individualisierung: selbst ist das Unternehmen

Es stellt sich nun die Frage, wie die Möglichkeiten neuer Technologien künftig von den Unternehmen genutzt werden können. Dafür ein eigenes Entwicklungsteam aufzustellen, wird für viele KMU vermutlich zu kostspielig und ergibt längerfristig wahrscheinlich keinen Sinn. Das Gute ist jedoch: Der Einstieg in die Technologien ist vergleichsweise einfach und eröffnet technikaffinen Mitarbeitenden eine spannende Auseinandersetzung mit dem ERP, wobei zugleich wertvolles Unternehmenswissen einfliessen kann. Zudem lassen sich bereits durch einfache Integrationen erste Erfolge in der Individualisierung des ERP-Systems erzielen.

Eine interessante Möglichkeit, um Standardfunktionalitäten individuell anzupassen und zu erweitern, bieten Low-Code- und No-Code-Applikationen. Dabei handelt es sich um Tools und Plattformen, die es erlauben, ohne tiefes technisches Wissen oder Programmierkenntnisse Anwendungen zu konfigurieren und zu gestalten. Während bei Low-Code-Plattformen dafür vorgefertigte Bausteine verwendet und diese mit Code-Schnipseln angepasst oder erweitert werden können, werden auf No-Code-Plattformen Programme mit etwas eingeschränkten Möglichkeiten gänzlich ohne Code erstellt. Die meisten dieser Plattformen erzeugen eine Web-Anwendung. Wenn innerhalb des ERP-Systems Web-Anwendungen dargestellt werden können, eignen sich Low-Code-/No-Code-Anwendungen deshalb sehr gut für Erweiterungen. Dabei ist die Kommunikation aus der Low-Code-Plattform mit dem ERP ebenfalls über eine REST API realisierbar.

Die Zukunft: Every Company is a Software Company

Diese Vision von Microsoft-CEO Satya Nadella gewinnt mehr denn je an Bedeutung. Software und Technologie werden eine immer wichtigere Rolle in Unternehmen spielen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Auch KMU werden sich mehr und mehr an diese Entwicklung anpassen müssen. Die Offenheit von Software schützt die bereits getätigten Investitionen und schafft die Voraussetzung, um diese auf die jeweiligen Bedürfnisse und Anforderungen zu individualisieren. Dies erfordert jedoch zusätzliche Fähigkeiten. Ein Verständnis für Datenzusammenhänge sowie IT-Grundlagenkenntnisse werden mittelfristig für jedes Unternehmen von grossem Vorteil sein. Sie werden zu einer wichtigen Kompetenz, vergleichbar mit betriebswirtschaftlichen Grundlagen in der Unternehmensführung, im Personalwesen, Marketing und in anderen Bereichen.

Jürg Danuser

Jürg Danuser

Jürg Danuser arbeitet seit 2015 bei Proffix Software AG. Seit über 7 Jahren leitet er die Entwicklungsabteilung des Herstellers von KMU Business Software und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Nebenberuflich doziert er seit vielen Jahren am Berufs- und Weiterbildungszentrum Buchs-Sargans und ist Chefexperte für Informatiker/innen EFZ Applikationsentwicklung.