Wie grün ist grün?

Netto-Null ist das Schlagwort der Stunde. Unternehmen setzen auf Nachhaltigkeit. Doch wie grün sind die Versprechen tatsächlich? Aussendarstellung und Realität müssen sich decken. Nicht erstaunlich, dass Unternehmen gemäss Swiss-IT-Studie vermehrt auf Berechnungsmodelle setzen.

Unternehmen müssen ihr grünes Image mit Fakten hinterlegen. Ab Anfang 2024 ist der datenbasierte Nachweis des CO2-Fussabdruckes für Firmen ab 500 Mitarbeitende gesetzliche Pflicht – inklusive der Emissionen der Zulieferer. Das wirkt. Die Swiss-IT-Studie zeigt, dass bereits knapp ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen auf Berechnungsmodelle setzt, um ihren CO2-Footprint auszuweisen. Im Vorjahr waren es erst 13 Prozent.

Michele Savino, Business Developer Data Driven Sustainability bei Swisscom, ordnet die Resultate der Swiss-IT-Studie ein. Er zeigt auf, wo Unternehmen auf dem Weg zu Netto-Null stehen und was es braucht, damit die Schweizer Wirtschaft noch mehr CO2 einsparen kann.

Sara Wyss: 

Wo stehen Schweizer Unternehmen auf dem Weg zu Netto-Null?

Michele Savino: 

In den letzten zwei Jahren ging ein drastischer Ruck durch die Schweizer Unternehmenslandschaft. Immer mehr Firmen beschäftigen sich mit dem Thema, setzen sich konkrete Klimaziele gemäss der Science Based Targets Initiative (SBTi) und erstellen jährlich ihren CO2-Fussabdruck. Auch die Swiss-IT-Studie zeigt, dass im Vergleich zum Vorjahr (2022: 61 Prozent) deutlich weniger Unternehmen ihren CO2-Fussabdruck gar nicht messen (2023: 36 Prozent).

Sara Wyss: 

Engagieren sich auch KMU?

Michele Savino: 

Ja, definitiv. Denn der Druck nimmt zu: Kunden fordern Transparenz und Nachhaltigkeit ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern. Als Lieferanten von grossen Unternehmen sind zudem auch KMU vermehrt gefordert, ihre CO2Emissionen auszuweisen. Und um junge Talente anzuziehen, ist es für jede Firma zentral, ein nachhaltiges Image zu pflegen.

Sara Wyss: 

Wo suchen Unternehmen Unterstützung?

Michele Savino: 

Eine der grössten Herausforderungen für Unternehmen ist die Erstellung der Klimabilanz. Sie ist die Basis, um überhaupt Klimaziele zu definieren. Dabei und auch bei der Umsetzung von Massnahmen wünschen Unternehmen Unterstützung. Ebenfalls ist Beratung gefragt, damit gesetzliche Vorgaben auch tatsächlich eingehalten werden.

Sara Wyss: 

Was sind die Voraussetzungen, um eine Klimabilanz zu erstellen?

Michele Savino: 

Eine CO2-Bilanz erfordert Daten zur Menge und der Art von eingesetzten Energieformen und Materialien, so beispielsweise zu Brenn- und Treibstoffen, Stromverbrauch, Geschäftsreisen oder Papierverbrauch. Oft werden diese Daten gar nicht erhoben oder sie werden dezentral im Unternehmen abgelegt. Sie sind aber eine zentrale Basis, um Muster im Energieverbrauch zu erkennen, Einsparpotenzial zu identifizieren und nachhaltige Lösungen umzusetzen. Dies erfordert die Dokumentation auf einer zentralen Plattform. Digitalisierung und Data Driven Business sind also Schlüsselelemente auf dem Weg zur Klimaneutralität.

"Digitalisierung und Data Driven Business sind Schlüsselelemente auf dem Weg zur Klimaneutralität."

Sara Wyss: 

Wie lassen sich die erforderlichen Daten erheben?

Michele Savino: 

Daten sollten wenn immer möglich effizient und medienbruchfrei erhoben werden. Die vernetzte Welt und der Erfolg des Internet of Things (IoT) wird die Erhebung relevanter Daten mittels Sensoren etablieren.

Sara Wyss: 

Nun können nicht sämtliche relevanten Daten erhoben werden. Deshalb braucht es Berechnungsmodelle. Welches Ziel verfolgen diese?

Michele Savino: 

Das ist so. Daten werden teilweise gemessen und teilweise geschätzt. Berechnungsmodelle dienen dazu, die Realität möglichst genau abzubilden. So werden die Emissionen von bestimmten Prozessen oder Produkten berechnet. Und es werden Aspekte abgebildet, die sonst nicht sichtbar wären, zum Beispiel CO2-Ausstoss, Energiebedarf oder Stoffströme.

Sara Wyss: 

Wie lassen sich aus den Resultaten Massnahmen ableiten?

Michele Savino: 

Die Berechnungsmodelle zeigen auf, wo die grössten Hebel sind für die Verbesserung der Nachhaltigkeitsbilanz. So können Massnahmen definiert werden, die am meisten Wirkung entfalten.

Sara Wyss: 

Welche Rolle spielt die ICT zur Reduktion von CO2?

Michele Savino: 

Dank ICT lässt sich einerseits CO2 einsparen, zum Beispiel indem dank Work Smart die Mobilität reduziert oder mittels IoT-Technologien Heizungen automatisiert gesteuert und optimiert werden. ICT-Lösungen ermöglichen aber auch Daten zu sammeln, etwa von Gebäuden oder Fahrzeugen. Software-Lösungen helfen Unternehmen, den CO2-Fussabdruck automatisiert zu messen. Berechnungsmodelle erlauben es, Daten zu verarbeiten und als Grundlage für datenbasierte Entscheidungen zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel um Klimaziele und Reduktionsmassnahmen zu definieren. ICT hilft also, das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu überwachen und je nach Erfolg die Massnahmen zu justieren.

Sara Wyss: 

Was braucht es, damit die Wirtschaft noch mehr CO2 einsparen kann?

Michele Savino: 

Wie eingangs erwähnt, erstellen immer mehr Unternehmen eine Klimabilanz oder definieren gar Reduktionsziele. Berechnungsmodelle werden hier unterstützen, noch verstärkt in die Umsetzung wirksamer Reduktionsmassnahmen zu gehen. Neben den vom Unternehmen direkt und indirekt verursachten Emissionen, etwa Geschäftsfahrzeuge oder eingekaufter Strom, ist als nächstes die Integration der Wertschöpfungskette gefragt. Das heisst der Einkauf von Rohstoffen und Produkten, Transport, Distribution, Geschäftsreisen, Arbeitsweg der Mitarbeitenden und so weiter.

Sara Wyss: 

Und was ist die mittelfristige Vision auf dem Weg zu Netto-Null?

Michele Savino: 

Wir verfolgen die Idee eines digitalen Marktplatzes für Reduktionsmassnahmen in der Schweiz. Dabei werden Daten aus den grössten Emissionstreibern, insbesondere Gebäuden, Lieferketten und Mobilität, effizient und frei von Medienbrüchen über Unternehmen hinweg ausgetauscht. So können zum Beispiel einem Unternehmen mit mehreren Standorten anhand der Analyse der Mitarbeitermobilität und der Emissionen in bestehenden Gebäuden proaktiv neue Standorte vorgeschlagen werden. Ein derartiger Marktplatz kann nicht von Swisscom allein umgesetzt werden. Er erfordert ein nachhaltiges und digitales Ökosystem. Als Basis muss zudem die Vernetzung mittels IoT und die digitale Abbildung von Objekten mittels Digital Twins vorangetrieben werden.

Als Business Development Manager begleitet Michele Savino Unternehmen im digitalen Innovationsprozess. Er hat Elektrotechnik studiert, verfügt über langjährige Erfahrung in der IT-Branche und fungiert als Brücke zwischen Business und IT. Michele Savino begleitet die datengetriebene Nachhaltigkeits-Initiative von Swisscom und arbeitet aktiv an der Entwicklung eines Nachhaltigkeitsportfolios für Unternehmen.