Die Welt im Umbruch: Wie der Autor 1973 als Zehnjähriger die «Erdölkrise» und die Spannungen im Nahen Osten erlebte.

Ich erinnere mich, als ob es gestern wäre. Mein Vater und der ältere Bruder stritten sich vor dem Fernseher laut über Israel und den bis heute andauernden Konflikt im Nahen Osten. Denn im Oktober 1973 tobte dort der Jom-Kippur-Krieg, der von Ägypten und Syrien mit Unterstützung weiterer arabischer Staaten gegen Israel geführt wurde. Nach dem Palästinakrieg, der Blockade des Suezkanals und dem Sechstagekrieg von 1967 war dies der vierte arabisch-israelische Krieg im Rahmen des Nahostkonflikts.

Der Nationalfeiertag Jom Kippur wird immer am 04. und 05.10. Oktober gefeiert und steht für Frieden und Versöhnung. Es war eine perfide Strategie, das kleine Israel (flächenmässig halb so gross wie die Schweiz) ausgerechnet nach den Nationalfeiertagen mit einem Angriff an zwei Fronten zu überraschen – im Südwesten von Ägypten und im Nordosten von Syrien aus. Die Generalmobilmachung der israelischen Soldaten dauerte trotzdem nur knapp zwei Tage. Der Kampf verlief sehr heftig und forderte auf beiden Seiten viele Tote und Verletzte. Trotz der zahlenmässigen Unterlegenheit konnte sich Israel – auch dank Materiallieferungen aus den U.S.A. – erfolgreich verteidigen. Die Kriegsgegner verwendeten Waffen aus der Sowjetunion.

Terror vor Ort

Doch was passierte in Europa? In Westdeutschland entstanden aus den Studentenunruhen ab 1968 diverse radikale Strömungen, die zunehmend gewaltbereiter wurden. So wurden ab Anfang der 1970er Jahre linksradikale Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) vor allem im Nahen Osten auf Kosten der DDR ausgebildet. Die RAF versetzte mit brutalen Banküberfällen (zwecks Geldbeschaffung) sowie mit Bombenanschlägen, Entführungen und gezielten Morden an Richter und Wirtschaftsvertreter ganz Westdeutschland in Angst und Schrecken. Mein Onkel war Berufschauffeur und fuhr Richter durch ganz Nordrhein-Westfalen. Er wurde während dieser Zeit stets von zwei Polizeifahrzeugen in Zivil eskortiert. Die Angst fuhr stets mit.

Auch die Schweiz war vom Terror betroffen: Im Februar 1970 explodierte im hinteren Frachtraum einer Swissair-Maschine eine Bombe, die zu deren Absturz in Würenlingen führte. 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder verloren ihr Leben. Ziel des Anschlags war ein israelitischer Regierungsbeamter, der ebenso wie die Touristen an Bord mit der Convair CV-990 Coronado HB-ICD nach Tel Aviv fliegen wollte. Bis heute gilt der Absturz in Würenlingen als einer der schlimmsten Terrorakte in der Geschichte der Schweiz. Ein Bekenntnis der Gruppe Volksfront zur Befreiung Palästinas in Beirut wurde kurze Zeit später widerrufen.

Während der Olympischen Sommerspiele im September 1972 in München mit 7'700 Sportlern aus aller Welt stürmten acht palästinensische Attentäter die Wohnungen israelischer Athleten im Olympischen Dorf. Die Terroristen sind mit Maschinengewehren und Handgranaten bewaffnet, nehmen elf Israelis als Geiseln und töten sie Tage später ebenso wie einen deutschen Polizisten. Fünf der acht Palästinenser überleben. Dabei hätten es offene und friedliche Spiele als Zeichen der Verständigung werden sollen. Der Nahostkonflikt war in Europa angekommen.

Zeichen des Aufbruchs: MAN-Elektrobus HO-M10 E (1971). Zwei dieser emissionsfreien Elektrobusse kamen während der Olympiade 1972 in München zum Einsatz. Zusammen mit sechs Erdgasbussen beförderten sie die Athleten zwischen Olympiapark und Olympischen Dorf (© MAN)

Wirtschaftskrieg als Folge

Im Herbst 1973 folgte die Erdölkrise, die wiederum im Nahen Osten ihren Ursprung hatte. Algerien, der Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate drosseln noch während dem Jom-Kippur-Krieg ihre Ölförderung und wollen damit die Verbündeten Israels bestrafen, primär die U.S.A., aber auch Europa, allen voran die Niederlande, welche sich mutig mit Israel solidarisierten. An einem einzigen Handelstag, dem 17. Oktober 1973, stieg der Preis pro Fass Rohöl (159 L) von drei auf fünf US $, was einem Plus von 70% entspricht. Ich selbst lag Ende 1973 während sechs Wochen in der Uniklinik Düsseldorf und wunderte mich sonntags über die leeren Strassen. Eine grosse Unsicherheit lag in der Luft, die man auch im Spital spürte.

In den folgenden zwölf Monaten vervierfacht sich der Ölpreis auf über 12 US $ pro Fass. Die Zinsen für Kredite und Hypotheken explodierten und die Inflation betrug gegen 10%. Benzinsparen war angesagt, und besonders VW und Audi reagierten schnell mit besonders verbrauchsgünstigen Modellen, die in den 1980ern mangels Nachfrage jedoch wieder eingestellt wurden. Auch BMW brachte gedrosselte Fahrzeuge mit gedrosselten Motoren auf den Markt und experimentierte erfolglos mit Wasserstoff- und Elektro-Antrieben. Die Zeit war noch nicht reif dafür. Gleichwohl haben uns der «Club of Rome», dessen visionäre Studie und die autofreien Sonntage wachgerüttelt.

Eine kurzweilige Lektüre zu autofreien Sonntagen in der Schweiz mit Fakten und zeitgenössischen Fotos finden Sie unter diesem Link.

Rüdiger Sellin

Gastautor

Rüdiger Sellin ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.