Kommentar

Nr. 25-3 aktualisiert 2025-04-25 Lesedauer: min

Code als Kulturtechnik – Warum Digitalisierung die Welt neu ordnet

In der langen Geschichte menschlicher Zivilisation gab es nur wenige Umbrüche, die unser Denken, Handeln und Zusammenleben so tiefgreifend verändert haben wie die Digitalisierung. Ähnlich wie der Buchdruck im 15. Jahrhundert das Monopol der Wissenselite brach oder wie die industrielle Revolution Maschinen zur Erweiterung menschlicher Arbeitskraft machte, verlängert die Digitalisierung heute unsere kognitive und kommunikative Reichweite ins Virtuelle. Der Unterschied: Sie tut es in Echtzeit, global vernetzt und mit exponentieller Beschleunigung. Wer heute Entscheidungen trifft, muss sie im Kontext dieser tiefgreifenden Transformation verstehen – nicht nur als technologische Entwicklung, sondern als kulturellen Paradigmenwechsel, der Gesellschaften neu ordnet.

(Bild: Matteo Discardi, Unsplash)

Digitalisierung als Treiber gesellschaftlicher Transformation

Gesellschaften organisieren sich durch Kommunikation, Information und Institutionen. Die Digitalisierung verändert all das: Kommunikation wird dezentraler, schneller, oft algorithmisch gesteuert. Informationen sind jederzeit und überall verfügbar – aber nicht automatisch verlässlich. Und Institutionen wie Schulen, Ämter oder Parlamente geraten unter Druck, mit digitalen Erwartungen Schritt zu halten.

Gleichzeitig wird digitale Teilhabe zu einem Schlüssel sozialer Gerechtigkeit. Wer keinen Zugang zu digitalen Lernangeboten, eHealth-Diensten oder Online-Banking hat, droht ausgeschlossen zu werden – sei es durch Alter, Bildung oder infrastrukturelle Nachteile. Deshalb ist Digitalisierung auch ein politisches Thema: Staaten müssen für flächendeckenden Zugang, digitale Bildung und sichere Datenräume sorgen. Erfolgreiche Gesellschaften im 21. Jahrhundert sind nicht nur technologisch fortschrittlich, sondern auch sozial digital integriert.

Wirtschaft unter Strom – Disruption und neue Geschäftsmodelle

Die Ökonomie erlebt mit der Digitalisierung eine tektonische Verschiebung. Wertschöpfung wird zunehmend datengetrieben, Märkte entstehen in digitalen Ökosystemen, und Geschäftsmodelle basieren nicht mehr auf physischen Produkten, sondern auf digitalen Plattformen und Netzwerkintelligenz. Das klassische Beispiel: Amazon verkauft kaum noch Bücher, sondern Datenflüsse, Logistik-KI und Cloud-Infrastruktur.

In diesem Kontext muss auch die Schweiz ihre Wirtschaftsstruktur neu denken. Die Bankenwelt steht vor dem Fintech-Tsunami, die Industrie automatisiert mit IoT und KI, und der Detailhandel transformiert sich durch E-Commerce-Plattformen. Der Standort Schweiz hat grosse Stärken: Innovationskraft, Forschungsuniversitäten wie ETH Zürich oder EPFL Lausanne, ein starker Maschinenbau, politische Stabilität – aber auch klare Schwächen wie die bisher zögerliche Umsetzung digitaler Verwaltung oder unterdigitalisierte KMU. Wer jetzt investiert – in Fachkräfte, KI, Cloud und Plattform-Konnektivität – wird morgen als digital souveräne Wirtschaftskraft dastehen.

Digitale Souveränität ist geopolitische Macht

Lange galt Digitalisierung als Spielwiese für Startups und Tech-Riesen. Heute ist klar: Sie ist ein Machtinstrument. Staaten, die ihre digitale Infrastruktur kontrollieren, setzen Standards, gestalten Märkte – und können Abhängigkeiten erzeugen oder vermeiden. Wer Cloud-Dienste, KI-Modelle, Halbleiterproduktion und Kommunikationsprotokolle im Griff hat, diktiert Regeln – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch.

Die Schweiz könnte hier eine strategische Rolle einnehmen. Als neutraler Staat mit hoher Vertrauenswürdigkeit könnte sie digitale Vermittlungsplattformen bieten – etwa im Bereich digitaler Ethik, Blockchain-Standards oder sicherer Datenräume für internationale Forschung. Gleichzeitig muss sie sich absichern: durch eigene Cloud-Initiativen (z. B. Swiss Cloud), durch stärkere Cyberabwehr und durch international abgestimmte Digitalstrategien, die Resilienz und Unabhängigkeit stärken. Denn eines ist sicher: Die digitale Welt kennt keine Grenzen – aber sehr wohl Machtzentren.

Wer digital denkt, gestaltet Zukunft

Digitalisierung ist mehr als Technologie. Sie ist ein Gestaltungsprinzip einer neuen Weltordnung, in der Datenströme die neuen Handelsrouten sind und Plattformen die neuen Imperien. Sie ist Chance und Risiko zugleich – abhängig davon, wie klug sie politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich eingebettet wird. Für die Schweiz bedeutet das: Mut zur digitalen Souveränität, Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Forschung – aber auch klare ethische Standards, die Vertrauen schaffen. Wer Digitalisierung nicht nur nutzt, sondern sie auch prägt, wird zu einem Taktgeber der Zukunft.

Christian Bühlmann

Chefredaktor Computerworld

Christian Bühlmann ist Chefredaktor der Computerworld und engagiert sich in der IT-Branche seit mehr als 30 Jahren als Fachautor, Berater und Projektleiter mit den Herausforderungen von Unternehmen in der digitalen Welt.